Eine Skizze.
In meinem letzten Beitrag hier auf dem Blog, habe ich mich mit dem Thema Bürokratie auseinandergesetzt. Und dabei habe ich erst einmal den Status Quo beschrieben und Situationen geschildert, die mir immer wieder begegnet sind. Schreiben ist für mich das Medium zur Reflexion. Und ich freue mich, dass ich zu dem Beitrag sehr viele Rückmeldungen erhalten habe, insbesondere von Menschen, die selbst in der Verwaltung arbeiten. Dankeschön für den Austausch! Das Thema treibt seit Impfchaos & Co. viele um, auch viele Politiker*innen. Das zeigen diverse Gastbeiträge und Sachbücher, die sich der Modernisierung der Verwaltung widmen.
In dieser Fortsetzung möchte ich meine Gedanken teilen für Lösungsansätze und ich würde mich sehr über Widerspruch, Ergänzungen, Konkretisierungen von Euch und Ihnen freuen! Ich nehme die Fährte auf und sehe dies als fortlaufenden, gemeinsamen Prozess und nicht etwa als abgeschlossenen Masterplan.
Bevor ich zu meinen Ideen komme, noch eine kurze Hinführung. In vielen Punkten herrscht meiner Wahrnehmung nach (parteiübergreifend) große Einigkeit:
- Die Verwaltung muss digitaler werden.
- Es braucht eine Fehlerkultur, damit Kreativität nicht im Keim erstickt wird.
- Wir wollen „einfach mal machen“ und „mehr ausprobieren“.
- Und natürlich müssen dafür auch Hierarchien abgebaut werden.
- Die Verwaltung muss für Quereinsteiger*innen attraktiv sein.
- …
Das alles ist richtig. Nur auch hier lautet für mich die Frage: Wie gelingt uns das denn? Sonst bleiben das Schlagworte, die an der Oberfläche verharren. Es ist wie mit dem berühmten Kicker, den man mal in einem Start-up gesehen hat. Es reicht nicht, sich auch so ein Teil ins Büro zu stellen und einen Obstkorb noch dazu. Der Kicker ist Ausdruck von. Und um diese dahintergelegene Welt müssen wir uns (mehr) kümmern.
Ich taste mich heran:
- Inner Work.
Beispiel Hierarchieabbau. Das kann für viele Menschen zunächst mit einem schmerzlichen Statusverlust verbunden sein, wenn Praktikant*innen jetzt plötzlich auch mit reden dürfen und Berufseinsteiger*innen innovative Ideen einbringen sollen. Und die werden dann vielleicht sogar noch von allen gut gefunden! In neuen Organisationsstrukturen muss man erst einmal lernen, sich zurecht zu finden. Widerstände vor dieser Veränderung zu haben, ist etwas sehr Menschliches. Neue Organisationsformen erfordern häufig auch mehr Selbstorganisation. Da schreit nicht jeder Mensch gleich „juhu“. Coachings und „innere Arbeit“, also die Auseinandersetzung mit mir selbst, unterstützen dabei, eine eigene Orientierung und Selbstbewusstsein — im Sinne „sich seiner selbst bewusst zu sein“ — zu entwickeln. Coachings (und das nicht nur für Führungskräfte!) sollten in diesen Transformationsprozessen einen deutlich höheren Stellenwert erhalten. „Change can only succeed if we approach it holistically and actively include inner transformation“, schreiben Joana Breidenbach und Bettina Rollow in ihrem Buch New Work needs Inner Work (dt.: “Veränderung kann nur gelingen, wenn wir sie ganzheitlich angehen und die innere Transformation aktiv einbeziehen”). Innere Arbeit lädt auch zum Perspektivwechsel ein und kann nach einiger Zeit wahrnehmen lassen, welche persönlichen Gewinne und benefits mit diesen Veränderungen einhergehen. Bspw. könnte eine Führungsperson im Jobsharing feststellen, dass sie weniger unter Druck steht. Dass sie den Feierabend und den Urlaub tatsächlich genießen kann. Dass sie ein Gegenüber gewinnt, das Verständnis für die eigene Tätigkeit und Situation hat.
Wir reden bei „der Verwaltung“ immer von Menschen. Ich finde, diese müssen deutlich mehr ins Zentrum rücken und Unterstützung erfahren. Sie sind keine Umsetzungsmaschinen. Sie sind wohl für die meisten Menschen in diesem Land das Gesicht unseres Staates. Sie sorgen nicht nur dafür, dass der Laden läuft („funktionierende Infrastruktur“), sondern vermitteln darüber auch Vertrauen in unseren Staat. Damit sind sie ein ganz wesentliches Element unserer Demokratie. „Veränderung ist die neue Konstante“, schreibt der Verein Staat-up so treffend auf seiner Homepage. Auf diesem Veränderungsprozess, in dieses neue Lebensgefühl, müssen wir die Menschen begleiten und für sie da sein. Ich bin überzeugt: Nur so können Menschen auch ihr volles Potenzial entfalten. Und genau dieses Potenzial ist das Fundament unserer Gesellschaft. Für dieses Fundament müssen wir die besten Bedingungen schaffen.
- Kommunikation.
Wir haben (vorrangig durch unser Bildungssystem) gelernt, uns in Schubladen-Denken durch die Welt zu bewegen. Vernetztes Denken und in Beziehung treten, sowohl mit Menschen als auch mit unserer Umwelt, Vorgängen oder Gegenständen: Fehlanzeige! Als ich mich selbständig gemacht habe, bin ich daher natürlich auch in einen Kurs gerannt, um zu lernen, wie das denn geht, „sich selbständig machen“. Wie verkaufe ich meine Produkte? Wie entwickle ich überhaupt das Produkt? Mir ist von diesem ersten Kurs insbesondere die Aussage hängen geblieben, dass Menschen von Menschen kaufen und man deshalb insbesondere (Geschäfts-)Beziehungen aufbauen sollte. Also ehrliche und gute, mit denen man sich wohl fühlt. Nicht so tun als ob! In der Politik ist es genauso: Menschen wählen Menschen. Keine Plakate, Flyer oder Parteiprogramme.
Diese Art durch die Welt zu gehen — und die auch sehr auf Inner Work (vgl. Punkt 1) aufbaut — drückt sich zwangsläufig in unserer Kommunikation aus. So auch im Team oder in Kontakt mit Bürger*innen. Sich öffnen und erzählen, wie es geht, welche Schwierigkeiten es vielleicht zu Hause gibt, Kritik und Feedback äußern, neue Ideen einbringen (im Team) oder Fehler einräumen, empathisch mit Beschwerden umgehen und individuelle Lösungswege suchen (mit Bürger*innen) — all das ist sehr voraussetzungsvoll (inner work) und benötigt dann auch noch die entsprechende Kommunikationskunst. Auch dazu braucht es Angebote und Weiterbildung.
Die Spitze des Eisberges sind servicefeindliche Webseiten mit Fachchinesisch und bürgerunfreundliche Vorgänge und Formulare. Serviceorientierte, kundenfreundliche und empathische Kommunikation drückt sich auch in der Gestaltung des Internetauftritts aus. In der Erreichbarkeit. In einfachen digitalen Prozessen. In der Hilfsbereitschaft und Zugewandtheit am Telefon oder Schalter. All das sind Berührungspunkte, wo Beziehungen (Vertrauen) geknüpft werden. Sie benötigen die entsprechende Einstellung (inner work). Und Kommunikation. Diese will gelernt sein.
- Erfahrungswelt.
Diese Beziehungsfähigkeit sollte nicht nur zu sich selbst und zu anderen Menschen, sondern auch zu Tätigkeiten und Themen entwickelt werden. Das passiert, in dem wir es ermöglichen, eigene Erfahrungen zu machen und nicht nur Papiere zu bearbeiten. Verwaltungsmitarbeitende sollten hierfür mehr Möglichkeiten erhalten und aktiv dazu angeregt werden. Es sollte keine freiwillige Freizeitbeschäftigung sein. Das ist je nach Tätigkeit natürlich sehr unterschiedlich, aber vielleicht zwei Beispiele: Bin ich für nachhaltige Beschaffung zuständig, sollte ich durch den Besuch verschiedener Produktionsstätten die Unterschiede mit eigenen Augen sehen. Welchen Unterschied macht es, ob ich die FairTrade-Schnittblumen bestelle oder die konventionellen? Wenn ich eine Baustelle einrichte, sollte ich sie einmal mit dem Auto, einmal mit dem Fahrrad, einmal zu Fuß, einmal mit dem Kinderwagen, einmal mit dem Rollstuhl abfahren/ablaufen. Funktioniert das für alle?
- Methodentraining.
Politik und Verwaltung müssen nach meiner Auffassung Lösungen entwickeln. In den allermeisten Sitzungen wird erläutert, welche Hürden existieren und warum etwas eben nicht geht. Deswegen müssen wir da hin kommen, dass wir grundsätzlich keine Laberrunden-Meetings mehr veranstalten, in denen eine Agenda und eine Redeliste abgearbeitet werden, in der jede*r einfach mal ein Statement hinwirft. Und ups, die Zeit vergeht, das Meeting ist vorbei. Schön, dass wir darüber geredet haben. Wir benötigen eine neue Meetingkultur. Konkret: Weiterbildung in professioneller Moderation, Formaten und Tools, mit denen wir aus den geschilderten Hürden in eine Arbeit einsteigen, die zu Lösungen führt.
- Sichtbarkeit.
„Die Verwaltung“ besteht — wie schon gesagt — aus Menschen. Diese Menschen benötigen nach Außen hin mehr Sichtbarkeit. Und sei es zunächst mit Zuständigkeiten, einem Foto und einer Mail-Adresse auf der Homepage. Netzwerken ist längst nichts mehr nur für Unternehmer*innen und Selbständige. Angestellte bauen sich eine eigene brand auf und steigern so nicht nur ihren Marktwert. Sie sind vor allem immer gut informiert, stehen in Austausch, erhalten Inspiration und inspirieren andere. Mein persönlicher Eindruck ist, dass es das mehr und mehr auch unter Mitarbeitenden in der Verwaltung gibt. Es fußt aber sehr auf je eigenem Engagement, Interesse, Neigung. Und wird nicht von allen gerne gesehen. Genau diese Sichtbarkeit und das Vernetzen sollten wir aber unbedingt aktiv fördern und dazu ermuntern. Denn genau auf dieser persönlichen Ebene brechen wir doch das Silodenken auf und ermöglichen es Menschen, miteinander an Lösungen zu arbeiten.
Ein Buch, das meine Gedanken für diesen Beitrag sehr angeregt hat und das ich gerne weiter empfehlen möchte: Starting a Revolution. Was wir von Unternehmerinnen über die Zukunft der Arbeitswelt lernen können. Mit einer der Autorinnen, Naomi Ryland, habe ich dazu auch ein Instagram-Live geführt.