In der feministischen Arbeit der Grünen ist es u. a. unser Ziel, Parteistrukturen zu schaffen, die es allen Frauen ermöglichen, Politik zu machen. Ich denke, neben dem Sprengen patriarchaler Strukturen geht es auch um eine Modernisierung und ein Update der politischen Kultur (ist das der richtige Begriff?) — parteiübergreifend. Und da spreche ich nicht von digitalen Sitzungen oder politischer Kommunikation via Social Media. Wir müssen für unsere Demokratie wieder viel mehr Menschen für parteipolitisches Engagement gewinnen. Wir Grüne erleben seit einiger Zeit einen Mitgliederrun, doch damit sind wir die Ausnahme. Aus dieser Motivation heraus habe ich auch vor 1,5 Jahren meinen Podcast ins Leben gerufen. Zwei Punkte aus der gestrigen Frauenvollversammlung der Münchner Grünen wirken in mir noch nach. Ich will versuchen ihnen mit diesen Zeilen nachzuspüren, Fragen und Themenfelder aufspüren, keine abschließenden Antworten oder Meinungen formulieren. Und hoffe auf weiterführende Gespräche und Austausch, wie es anderen mit diesen und anderen Themen ergeht.
„Aber, dass sie sich verändern muss, um als Politikerin ernst genommen zu werden, hat sie schnell gemerkt.“
In mehreren Vernetzungsrunden war immer wieder das Gefühl der Unzulänglichkeit Thema. Das kann den Punkt „Rede halten“/vor vielen Menschen sprechen oder die Parteistrukturen betreffen. Ja, es ist schön, wenn man an sich selbst merkt, wie man sich weiterentwickelt, wie vielleicht das Lampenfieber nicht mehr so doll ist wie am Anfang oder wie man sich in den Strukturen besser orientiert fühlt. Das beruhigt die Nerven, schafft eine Grundlage, ein Basiswissen, das es erlaubt, sich verstärkt inhaltlich einzubringen, weil man seinen Fokus auf das Eigentliche lenken kann.
Unzulänglichkeit, Kategorien von „richtig“ und „falsch“ oder scheinbar erstrebenswerte Zielbilder werden einem in der bestehenden politischen Kultur aber auch immer wieder – manchmal subtil, manchmal weniger subtil – vermittelt. „Aber, dass sie sich verändern muss, um als Politikerin ernst genommen zu werden, hat sie schnell gemerkt“, heißt es beispielsweise in der preisgekrönten Radio-Reportage Rhetorik der Macht — Wie wird man (als) Politiker von Sandra Stalinski. Ein Politikberater und Rhetoriktrainer bewertet darin einen früheren Auftritt einer jungen Abgeordneten in Hessen mit folgenden Worten:
„<<Was ich da erlebe, ist eine junge Frau, die ziemlich aufgeregt ist, die sehr schnell spricht, keine Pausen macht, das Publikum kaum anschaut und schon ziemlich rumhampelt, kann man sagen. Das alles demonstriert nicht unbedingt Führungsstärke.>> […] <<jetzt interpretiere ich einfach mal – hat sie so’n Ding laufen, das sagt: ‚Mensch, ihr müsst doch jetzt aufpassen, es geht doch jetzt um was total Wichtiges‘>>“.
Eine Rede, die sie einige Jahre später hält, beurteilt dieser Trainer wie folgt: „<<Sie hat gewechselt zur Abteilung Attacke, sie geht direkt zum Angriff über. Sie hängt jetzt nicht so am Thema, sondern sie hat verstanden, was da passiert in diesem Landtag und ist gewillt in ihre Rolle einzusteigen. Sie ist viel präsenter als vorher. Sie ist praktisch die ganze Zeit mit den Augen beim Publikum, spricht die Leute direkt an, sie spricht langsamer, sie macht Pausen und sie hat so ein bisschen so was in der Stimme, anhand dessen man merkt: ‚Ihr kleinen Würmer – also sie schaut so’n bisschen stimmlich auf diese Leute herab und das hätte sich das kleine Mädchen von der ersten Rede niemals getraut. Die war viel zu aufrichtig, die war viel zu nett dafür, hätte die nicht gemacht>>“. In der Reportage heißt es dann weiter: „Rhetorik sei nie ihre Stärke gewesen, erzählt sie. Die Fraktionskollegen sagten am Anfang: Du bist viel zu wissenschaftlich, du musst endlich mal richtig draufhauen. Und auch sie selbst hat gemerkt, dass sie mit ihren Botschaften nicht richtig durchkommt.“
Ja, es gibt für fast alles Tools und Techniken und die können auch sehr nützlich sein. Und wenn das nicht erlernt wird? Wenn niemals „zur Abteilung Attacke“ gewechselt wird? Weil die Person das einfach nicht ist? Kann die Person dann kein*e Politiker*in werden? Oder wenn, dann kein*e erfolgreiche*r? Keine Führungsrolle einnehmen? Vielleicht will die Person manches auch gar nicht erlernen — und sich lieber treu bleiben, den eigenen Stil entwickeln? Dann dringt man — in der bisherigen Logik — eben oft nicht richtig durch mit der eigenen Botschaft (s. o.).
Das ist nur ein Beispiel von vielen Punkten, bei denen unsere politische Kultur m. E. dringend ein Update benötigt. Weitere, die mir spontan einfallen, sind: Fehlerkultur, Leadership, Gefühle zeigen, Erfolg, Durchsetzungsfähigkeit, Konkurrenz, Umgang mit Zeit, Präsenzkultur… Damit sich hier etwas ändert, benötigen wir nicht nur Empowerment und Zuspruch untereinander, sondern auch (parteiübergreifende!) Diskussionsräume und Werkstätten, in denen wir konkret an Modellen der Zukunft arbeiten, wie es auch anders funktionieren kann. Mit denen wir Öffentlichkeit für rolemodels schaffen, die das verkörpern und so ganz vielen unterschiedlichen Menschen Lust auf politisches Engagement in den demokratischen Parteien machen.
Ich hab’s geschafft, ich bin Amts-/Mandatsträgerin!* Oder: Some journeys begin when you arrive.
Frauenförderung in der Politik ist häufig darauf ausgerichtet, mehr Frauen in Ämter und Mandate zu bekommen. Total richtig, denn in der Tat wird es Zeit, dass es dort mehr Frauen gibt. Als dann gewählte Amts- oder Mandatsträgerin fühlt es sich aber sehr häufig so an wie bei Aschenputtel: Was macht die eigentlich, als sie mit ihrem Prinzen auf dem Schloss angekommen ist? Die Reise ist im Amt oder Mandat nicht zu Ende. Dort beginnt sie. Dort gibt es allerdings keine Förderung mehr. Erfahrene Kolleg*innen geben gerne Auskunft, schön und gut. Aber hier geht es los: Verfügst Du über Kontakte? Geben die Kolleg*innen gerne ihr Wissen (und damit ihre Macht) preis? Und selbst wenn: Im Ehrenamt und im schnellen Politikalltag bleibt eher Zeit für Tipps & Tricks und moralische Unterstützung als für ein „an-die-Hand-nehmen“. Vor wem darfst Du Dich im geschützten Raum mal entblößen und „doofe Fragen“ stellen? Coaching gilt in der Politik eher noch als verpönt, unüblich und wird, wenn überhaupt, eher hinter vorgehaltener Hand diskutiert (Burmester u. Michalik 2015, S. 5-6). Mit der Wahl zur Amts- oder Mandatsträgerin hast Du nämlich automatisch den Expert*innenstatus. Du kannst alles, Du weißt alles. Und wenn Du Dein Nicht-Wissen zum Ausdruck bringst, schwächst Du Dich und damit Deine Machtposition. Hier gibt es wenige Angebote. Auch externe. Die wirklich individuell mit Dir arbeiten. Ich rede nicht von Einführungs-Rhetorik-Workshops, die zahlreich angeboten werden, aber irgendwann nicht mehr zum Level passen, auf dem man sich bewegt. Angebote, die auch für Kommunalpolitiker*innen in Gemeinderäten und Bezirksausschüssen bezahlbar sind. Auch hier darf es gleich losgehen mit einem Update.